Offener Brief An die sächsische Staatsregierung und die Fraktionen im Sächsischen Landtag

2. September 2016

Sehr geehrte Damen und Herren,

der Vorstand des Verbandes der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten in Sachsen e.V. wendet sich mit einem offenen Brief an Sie und all diejenigen, die im Freistaat Verantwortung tragen.

Wir verfolgen mit Sorge, dass besonders in Sachsen sich Ausländerfeindlichkeit und Rassenhass ausbreiten und teilweise offen zum Ausbruch kommen. Wir fragen uns, wie kommt es, dass faschistisches Gedankengut sich derart wieder bei Menschen herausbilden kann und wieder die Öffentlichkeit bestimmt? Sind die Ursachen, die zu faschistischer Gewalt gegenüber Andersdenkenden, rassischen Vorurteilen, Krieg und Vertreibung führten und auch unser Land sowie halb Europa in Tod, Zerstörung und Elend stürzten, schon vergessen oder hat man das nur verdrängt.

Wir sehen eine Ursache darin, dass in unserem Land die weitere Aufarbeitung der Geschichte der 12 Jahren Hitlerdiktatur vernachlässigt wurde. Schon nach der politischen Wende wurden viele Straßen, Schulen und Einrichtungen, die Namen von Antifaschisten trugen, umbenannt.

Auch der „Atlas zur Geschichte und Landeskunde von Sachsen“, für den seit 1992 über 100 Themen vorgesehen waren, sah kein einziges Thema zur Zeit des Faschismus in Sachsen vor. Nach dem Bekanntwerden der Themen in den „Sächsischen Heimatblättern“, Heft 1/ 2006, wurde durch Dr. Hans Brenner eine bürgerschaftliche Initiative gebildet, um diese Zeit von 1933 bis 1945 in Sachsen mit wenigstens drei Karten, einschließlich Beiheften, zu ergänzen. Im Mittelpunkt stehen alle Opfergruppen, die unter der Hitlerdiktatur verfolgt, gelitten und viele der Mitglieder ermordet wurden. Anfänglich wurden zwischen 2008 bis Ende 2013 diese Arbeit durch die Stiftung Sächsische Gedenkstätten für organisations-technische Aufwendungen unterstützt. Danach zwei Jahre nicht mehr. Erst seit wenigen Tagen werden, nach Forderungen unseres Verbandes, wieder Fördermittel in Aussicht gestellt.

Es ist schon beschämend, dass nur 15% der Mittel von der Stiftung Sächsischer Gedenkstätten für die Ehrung von Opfern nazistischer Gewaltherrschaft und die Aufarbeitung der Geschichte 1933 – 1945 in den letzten Jahren verwendet wurden. Es ist unserer Meinung nach unerlässlich, dass die menschenfeindlichen, rassistischen, undemokratischen Ereignisse und Verbrechen der Hitlerdiktatur, beispielsweise die ca. 70 wilden und frühen KZ’s im Freistaat Sachsen, Judenpogrome, politische und rassistische Morde, die inhumanen Bedingungen in den 60 Außenlagern der KZ’s bei den sächsischen Rüstungsbetrieben, die brutale Vorgehensweise der SS, Polizei, Gestapo und des Volkssturms während des Verlaufs der 107 Todesmärsche und über 50 Todestransporte von und durch Sachsen, noch stärker für Personen aller Opfergruppen durch Gedenktafeln, Ehrenhaine, Namensgebungen, Stolpersteine u. a. zeitnah sichtbar gemacht werden. Der Toten, die von Nazis umgebracht worden, soll durch staatliche Institutionen, Bildungseinrichtungen und nachfolgende Einrichtungen oder Betriebe nicht nur zum 27. Januar gedacht werden, sondern auch ein individuelles Gedenken müsste zum fester Bestandteil des regionalen gesellschaftlichen Lebens werden.

Es ist anzustreben, dass durch Verordnungen der Städte und Gemeinden mit finanzieller Planung eine würdevolle Ehrung der Opfer (Antifaschisten, Juden, Zeugen Jehova, Christen, Homosexuelle, Sinti und Roma …) erfolgt. Leitlinien für solche Ehrungen sowie eine Objektliste sollte die Stiftung Sächsischer Gedenkstätten noch 2016 herausgeben. Die Erinnerungskultur zu diesem dunklen Abschnitt der deutschen Geschichte in Sachsen muss sich grundlegend ändern.

Das frühe KZ Sachsenburg (1933 – 1937) – über 7.000 Häftlinge durchliefen dieses Lager – war Vorläufer für die großen KZ in Deutschland und Ausbildungsstätte für den III. SS-Totenkopfverband „Sachsen“. Die SS-Männer kamen vorwiegend im KZ Buchenwald zum Einsatz. Deshalb muss in absehbarer Zeit Sachsenburg wieder eine Gedenkstätte werden. Die finanziellen Voraussetzungen und die gestalterische Umsetzung eines Gedenkstättenkonzeptes sollte nach dem Beispiel der Gedenkstätte Neuengamme durch die StSG unter Mitwirkung der Lager AG Sachsenburg e.V. und der Stadt Frankenberg erfolgen.

Unser Handeln wird bestimmt durch den Schur von Buchenwald:

„Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht! Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau. einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Das sind wir unseren gemarterten Kameraden, ihren Angehörigen schuldig.“

 

Dresden, 31. August 2016

Landesvorstand des VVN-BdA Sachsen e.V.