2. Halten sie die bisherige Aufarbeitung zum NSU in Sachsen für ausreichend? Welche Konsequenzen ziehen Sie aus den bisherigen Ergebnissen?

19. August 2019

CDU: Die Aufarbeitung des „NSU-Skandals“ wurde im Sächsischen Landtag durch zwei Untersuchungsausschüsse begleitet. Im Juni 2019 wurde der Abschlussbericht des 2. Untersuchungsausschusses vorgelegt. Der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses hat betont, dass es keine nachweisbare Schuld der Behörden des Freistaates Sachsen gibt. Die im Landesamt für Verfassungsschutz zur damaligen Zeit belegte Form der Arbeits-, insbesondere der Zusammenarbeit im Verbund mit anderen Sicherheitsbehörden und auch die Form der Informationsgewinnung und Informationsauswertung ließen jedoch Handlungsbedarf erkennen. Dies wurde bereits direkt nach dem Entdecken des NSU deutlich und führte im Freistaat Sachsen zu entsprechenden Anpassungen und damit Behebung der erkannten Schwächen. Zudem wurden vielfältige Maßnahmen zur Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Verfassungsschutz, Ermittlungsbehörden und Justiz unternommen, welche die gesamte Sicherheitsarchitektur im Freistaat Sachsen verbessern und dazu beitragen, terroristische Netzwerke und deren Aktivitäten besser aufzuspüren. Die Arbeit des Landesamtes für Verfassungsschutz muss aus Sicht der CDU in den nächsten Jahren weiter personell, technisch und gesetzlich gestärkt werden. Wir wollen deshalb insbesondere eine Novellierung des Sächsischen Verfassungsschutzgesetzes, damit die Möglichkeiten der Digitalisierung optimal durch den Verfassungsschutz zur Unterstützung und Verbesserung seiner Auftragserfüllung genutzt werden können und damit unsere Demokratie effektiv und konsequent vor den Verfassungsfeinden geschützt werden kann.

DIE LINKE: Ohne die Fraktion DIE LINKE hätte es die NSU-Untersuchungsausschüsse nicht gegeben, und ohne unsere Abgeordneten hätte sich auch innerhalb der Ausschüsse kaum etwas bewegt. Jetzt, nach jahrelanger Arbeit, sehen wir vieles klarer – dennoch sind zahlreiche Fragen offen geblieben, weil die Behörden nicht im gewünschten Umfang kooperiert haben und teilweise Akten nicht mehr zu beschaffen sind. Am Ende des jüngsten Untersuchungsausschusses, der gerade abgeschlossen wurde, steht dennoch ein detaillierter und kritischer Abschlussbericht, den die Fraktionen LINKE und Grüne gemeinsam vorgelegt haben. Er ist um ein Vielfaches dicker als das dürre Heftchen, das die Regierungskoalitionen produziert haben, und er ist ein umfangreiches Nachschlage-werk, das Ausgangspunkt für die weitere Aufarbeitung sein kann. Sie ist auch nach dem Ende des jüngsten Untersuchungsausschusses weiter nötig und wichtig. Denn der NSU ist nicht allein ein „historisches“ Thema, das lange hinter uns liegt. Vielmehr haben sich in jüngster Zeit neue rechtsterroristische Gruppen gebildet, mindestens drei da-von – ausgerechnet – in Sachsen. Aus dem NSU-Komplex kann gelernt werden, wie gefährlich diese Entwicklungen sind, wie dringend und entschlossen wir entgegenhalten müssen und was passiert, wenn die Zuständigen trotzdem wegschauen. Wir sind leider überhaupt nicht da-von überzeugt, dass auf der Seite von Behörden und Ministerien die nötigen Schlüsse gezogen wurden. Auch manche Angaben von Beamten, die der Untersuchungsausschuss angehört hat, wecken Zweifel, dass ein Umdenken eingesetzt hätte.

Wichtigstes Ergebnis der Ausschussarbeit ist aus unserer Sicht: Der sächsische „Verfassungsschutz“ hat bei der Suche nach Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe rundweg versagt. Erstens hat das Amt viel zu wenig getan, um die 1998 untergetauchten Neonazis zu finden – obwohl die zutreffende Annahme bestand, dass sich die Flüchtigen in Sachsen aufhalten. Dem begegnete man aber mit Desinteresse. Zweitens behielt der Geheimdienst Informationen für sich, die wichtig für die sächsische Polizei gewesen wären – etwa der Hinweis, nach denen das „Trio“ einen Überfall plant und eine Waffe beschafft wird. Das nahm man nicht ernst. Drittens waren die Versuche der Behörde, mit der Opera-tion „Terzett“ an die Flüchtigen heranzukommen, völlig stümperhaft – und sie endeten vorzeitig, gerade zu der Zeit, als die NSU-Mordserie begann. Andernfalls hätten die Flüchtigen womöglich gefunden und die NSU-Taten so verhindert werden können.

Umso wichtiger ist es, das Thema gerade nicht beiseite zu schieben, keinen „Schlussstrich“ zu ziehen. Unser Abschlussbericht enthält da-her eine umfangreiche Auflistung von Schlussfolgerungen, von Forderungen und Vorschlägen, was sich ändern kann uns muss. Dafür werden wir als Antifaschistinnen und Antifaschisten einstehen und weiter streiten. Die Broschüre, die unsere Sprecherin für Antifaschistische Politik Kerstin Köditz zum Abschluss der Ausschuss-Arbeit veröffentlicht hat, enthält insgesamt 46 Forderungen. Zu ihnen gehört, dass sich die Staatsregierung zu ihrer Verantwortung bekennt – und die Betroffenen und Hinterbliebenen der NSU-Anschläge endlich entschädigt. Für das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen sehen wir keine Zukunft: Die Behörde muss aufgelöst werden, sie hat mehr geschadet als genutzt und ist reformunfähig (s.u.). Dagegen braucht der Freistaat endlich ein Gesamtkonzept zur Zurückdrängung der extremen Rechten. Zudem muss die Zivilgesellschaft viel stärker als bisher gefördert werden. Wir fordern außerdem unter vielen anderen Punkten

  • eine offene Diskussion über einen angemessenen Erinnerungsort für die Opfer
  • ein ständiges Dokumentationszentrum zum NSU
  • eine Verlängerung der Löschmoratorien, um Akten zu erhalten
  • die Konservierung der Beweismittel des Untersuchungsausschusses
  • die Abgabe beweiserheblicher Unterlagen an das Sächsische Staatsarchiv
  • die Sicherung der Aktenbestände gegen Zerstörungen
  • Nachermittlungen zu Waffen und Sprengstoffen sowie zu Auslands-bezügen des NSU
  • Ein verbessertes Monitoring rechtsextremer Straftaten
  • Die konsequente Entwaffnung der extremen Rechten.

Näheres ist hier nachlesbar: https://kerstin-koeditz.de/?p=3272

Unser Weg zur Aufklärung war steinig, die Arbeit im Ausschuss gestaltete sich oft mühsam. Gerne hätten wir weitere Betroffene der NSU-Taten angehört, unter den gegebenen Kräfteverhältnissen war das leider nicht möglich. Wir können am Ende auch nicht alle Fragen beantworten, haben aber die Möglichkeiten des Untersuchungsausschusses weitgehend ausgeschöpft. Wir stehen nun am vorläufigen Ende einer der aufwändigsten parlamentarischen Untersuchungen, die es bisher in Sachsen gab. Einen Schlussstrich unter das Thema ziehen wir aber nicht. Den weiteren Kampf gegen Rassismus und die extreme Rechte sehen wir vielmehr als eine wichtige gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Näheres bitten wir bei Interesse im umfangreichen Minderheitenvotum nachzulesen, das unse

re

Fraktion zum Mehrheitsbericht abgegeben hat: https://kerstin koeditz.de/?p=3259

GRÜNE: Die furchtbaren Taten des Terrortrios, die Beiträge des gesamten NSU-Netzwerkes und die Rolle sächsischer Behörden bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus in Sachsen sind insbesondere von Staatsregierung und Behörden in Sachsen nicht vollständig aufgearbeitet. Die – auch von der GRÜNEN Fraktion im Landtag – eingesetzten Untersuchungsausschüsse zum NSU konnten zwar einen Beitrag zur Aufarbeitung leisten, noch steht der Abschluss weiterer Ermittlungen des Generalbundesanwalts zum Netzwerk des NSU aus.

Zusammen mit der Fraktion DIE LINKE hat die GRÜNE Fraktion ein Minderheitenvotum zum Abschlussbericht des NSU vorgelegt. Darin wurden 46 Empfehlungen formuliert, die uns als Konsequenzen wichtig erscheinen. Dazu gehört im Wesentlichen:

  • Aufarbeitung und Erinnerung im NSU-Komplex (Entschädigungsfonds, Erinnerungsort, Dokumentation)
  • Sicherung des Aktenbestandes (u.a. Überführung an das Staatsarchiv)
  • weitere Ermittlungen zum Netzwerk, Waffen und Auslandsbezügen des NSU
  • verbesserte Nutzung von Expertise für ein vollständiges Bild des Rechtsextremismus in Sachsen (Forschungsstelle, verbessertes Monitoring, Untersuchung zu und Prävention von diskriminierenden, menschenfeindlichen oder antidemokratischen Einstellungsmustern im Öffentlichen Dienst, NSU als Bildungsthema)
  • Unterstützung der Zivilgesellschaft (Entfristung und Stärkung zentraler Demokratieprojekte)
  • Entwicklung eines Gesamtkonzepts zur Zurückdrängung der extremen Rechten und Unterstützung der Kommunen durch Beratung, etwa im Umgang mit Neonazi-Immobilien
  • Maßnahmen bei Polizei und Staatsschutz zur Ahndung und Prävention rechtsmotivierter Taten (Spezialisierung, Verzicht auf V-Personen, Aus- und Weiterbildung, Diversität, Etablierung einer Fehler- und Führungskultur)
  • Abschaffung des Landesamtes für Verfassungsschutz in seiner bestehenden Form (einschl.

konkreter Maßnahmen für Zeiten des Übergangs, z. B. Stärkung der parlamentarischen Kontrolle, personelle Trennung Ministerium/LfV, Betonung Strafverfolgung)

  • Betroffene rechtsextremer Gewalt unterstützen
  • Extreme Rechte entwaffnen
  • Stärkung der Untersuchungsbefugnisse des Innenausschusses
  • Stärkung des Untersuchungsausschusses (Veröffentlichung von Protokollen, elektronische verfügbare und durchsuchbare Akten, Vollständigkeitserklärungen).

FDP

: Der NSU wurde vin verschiedensten Untersuchungsausschüssen nunmehr untersucht und

aufgearbeitet. Ein weiterer U Ausschuss ist daher nach dem a ktuellen Sachstand nicht erforderlich. Konsequenzen aus den Fehlern der Landesämter für Verfassungsschutz sind daher zu ziehen. Wir

fordern weiterhin eine strukturelle Neuorganisation, um Klarheiten bei der Aufgabenverteilung zu

erhalten.

DIE PARTEI

: Auch hier sind wir für Sie wählbar. Immerhin 3 weniger, aber da ist noch Luft nach oben.

Zurück